"Eincremen, eincremen, eincremen"

    27. Juni 2019

    PD Dr. Martin Glatz, Facharzt für Dermatologie, Allergologie und klinische Immunologie in Uster im Interview:

    Rückfettung der Haut, zweimal am Tag. PD Dr. Martin Glatz weiss, was Menschen mit Neurodermitis am besten hilft.

    Wie viele Menschen sind von Neurodermitis betroffen?
    Wir gehen davon aus, dass rund 10 bis 20 Prozent aller Kinder und zwischen 5 und 10 Prozent der Erwachsenen Neurodermitis haben. Circa 2 von 100 Patienten sind sehr schwer betroffen. In den letzten Jahrzehnten hat die Neurodermitis deutlich zugenommen, so wie die allergischen Erkrankungen auch. Über die Gründe gibt es nur Vermutungen: Übertriebene Hygiene, Umweltbelastungen etc.

    Was ist das Grundübel der Neurodermitis?
    Ganz klar die trockene Haut, der fehlende oder krankhafte Lipidfilm. Dadurch hat die Haut eine viel schlechtere Barriere-Funktion. Krankheitserreger und Schadstoffe dringen ungehindert ein, überfordern das Immunsystem und lösen eine chronische Entzündung in der Haut aus.

    Worunter leiden die Betroffenen am meisten?
    Unter dem Juckreiz. Er quält die Patienten. Sie müssen sich ständig kratzen, oft bis sie blutig sind. Das löst einen Teufelskreis aus. Je mehr jemand kratzt, desto schlimmer werden die Ekzeme, die Entzündung und wieder der Juckreiz. Am Ende können die Betroffenen kaum noch schlafen. Der permanente Schlafmangel schlägt auf die Psyche und wirkt sich negativ auf die Konzentrations und Leistungsfähigkeit aus, auf den Beruf und die Partnerschaft. Ja auf das ganze Leben. Ekzeme an sichtbaren Körperstellen führen zu sozialem Rückzug und Ausgrenzung. Ich habe Patienten, die seit Jahrzehnten nicht mehr richtig schlafen können und sich so blutig kratzen, dass sie jeden Tag die Bettwäsche wechseln müssen.

    Woher kommt dieses Krankheitsbild eigentlich?
    Die Ursachen für die atopische Dermatitis, wie die Neurodermitis auch genannt wird, sind vielfältig und multifaktoriell. Es gibt nicht die eine Ursache, sondern viele Faktoren wie zum Beispiel Vererbung oder äussere Einflüsse wie Reibung und Schwitzen.

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    Viele Patienten fühlen sich nicht richtig ernst genommen und rennen von Pontius zu Pilatus. Woran liegt das?
    Man vergisst gern, das die Neurodermitis zu den Krankheiten gehört, die mit einer ganz schlechten Lebensqualität einhergehen. Die Krankheit ist chronisch und nicht heilbar. Genau das missverstehen aber viele Patienten, aber auch Ärzte, wenn sie sagen, man könne halt nichts machen. Das ist grundfalsch! Wie man mit der Krankheit umgeht, ist entscheidend.
    Ziel ist, die Neurodermitis so zu behandeln, dass sie den Patienten im Alltag möglichst wenig einschränkt. Aber wenn der Arzt nur gerade fünf Minuten Zeit hat und man schon ohne Erfolg ein Dutzend Cremes ausprobiert hat, sucht man sich eben irgendwo anders Linderung, sei es mit Chinesischer Medizin oder mit Bioresonanz.

    Was ist der wichtigste Grundsatz der Behandlung?
    Aufklärung ist entscheidend, eine gute Arzt-Patienten-Beziehung. Meistens dauert es ein bis zwei Jahre, bis ein Patient ein Therapieschema annehmen und konsequent anwenden kann. Rückfettung der ganzen Haut, eincremen, eincremen und nochmals eincremen, und das zweimal am Tag. Basistherapie nennt man das. Nur so gelingt es, die Schutzfunktion der Haut wiederherzustellen, den Juckreiz zu stoppen und die Krankheitsschübe zu unterbinden. Das klingt eigentlich banal.

    Geht es wirklich nicht ohne?
    Nein, es geht nicht ohne. Die trockene, rissige, spröde und vor allem stark juckende Haut braucht das unbedingt. Auch mit den neusten Medikamenten ist die Basistherapie zwingend nötig. Wenn ein Patient dies ablehnt, brauchen wir gar nicht weiterzusprechen.

    Wie bringt man jemandem das zweimalige Eincremen pro Tag bei?
    Ich höre immer wieder: «Ich habe keine Zeit!» Dabei haben wir jeden Tag für alles Mögliche und Unmögliche Zeit und machen oft so viele unnötige Dinge. Die Basistherapie, das heisst das Eincremen, muss zum Alltagsritual werden, über das man gar nicht mehr nachdenkt. Die paar Minuten, die man morgens und abends dazu braucht, bringen enorm viel an Lebensqualität zurück und sind die beste Investition, die Menschen mit Neurodermitis machen können.

    Welche Produkte sind am besten?
    Es gibt nicht das eine beste Produkt. Das ist sehr individuell. Das muss jeder Patient mit seinem Arzt durchprobieren.

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